Anekdoten
Conrad von Vietinghoff, der Vater

 

Jeanne von Vietinghoff, die Mutter

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Jeanne von Vietinghoff The Words of a Woman – A literary mosaic von Christine Mary McGinley
Crown Publishers, New York 1999 (Englisch, Original)

Nach der Entwicklung eigener Gedanken wendet sich die Autorin der weiblichen Weltliteratur zu: Etwa ein Drittel des ästhetisch aufgemachten Buches besteht aus Zitaten bedeutender Frauen. Neben den Schriftstellerinnen Lou Andreas-Salome, Hannah Arendt, Jane Austen, Simone de Beauvoir, Charlotte und Emily Brontë, Doris Lessing, Anne Morrow Lindbergh, George Sand, May Sarton, Simone Weil, Virginia Woolf, Marguerite Yourcenar und vielen anderen kommen auch Frauen wie Marie Curie, Isadora Duncan, Florence Nightingale, Beryl Markham oder Aung San Suu Kyi zu Worte.

Die Autorin wurde über Marguerite Yourcenar zur englischen Übersetzung von Jeanne de Vietinghoffs Buch The Understanding of Good geführt. Ein ganzes Viertel der zitierten Texte stammt daraus. Auf der Seite zur Person, die McGinley jeder dieser Frauen widmet, bekennt sie:

Doch von den Hunderten großartiger Werke, die ich gelesen habe, waren es ihre, durch die ich den Zweck (Sinn) des Aufschreibens unserer tiefsten Wahrheiten erfasst habe. Denn wenn im Laufe der Zeit auch nur ein einziger Mensch von unseren Worten getroffen wird, wie ich es von jenen von Jeanne de Vietinghoff war, dann ist unser Beitrag zum Leben riesengroß gewesen.

Ihre Liebe und ihr Glaube kannten keine Grenzen; sie füllten sie ganz aus und strahlten von ihr aus wie eine lebensspendende Kraft der unendlichen Quelle, der sie diente. Ich kann meine Verehrung nicht anders ausdrücken als zu sagen: nachdem ich sie kennen gelernt habe, werde ich nie mehr die selbe sein wie davor.


Der Ergriffenheit, dem tiefen Verständnis und der Initiative Christine Mary McGinley's ist es zu verdanken, dass Jeannes Werk The Understanding of Good im Jahr 2016 in den U.S.A. in einem englischen Neudruck wieder aufgelegt wurde – rund hundert Jahre nach dessen erstem Erscheinen (fr. 1910, dt. 1919, engl. 1921).
 

Andere Publikationen

Marguerite Yourcenar et les von Vietinghoff,
Michèle Goslar, Cidmy Bulletin no. 18, 2012

Ein hübsches Büchlein mit Abbildungen der Personen, Zeichnungen von Jeanne, Gemälden von Egon v.V., Faksimile des ersten Manuskripts von Diotima und der Korrespondenz Egon v.V. – Marguerite Y.
1. Das Auftreten der Familie von Vietinghoff im Werk Marguerite Yourcenars
2. Biographische Fakten
3. Jeanne de Vietinghoff
4. Jeanne de Vietinghoff als Schriftstellerin
5. Jeanne gleichgesetzt (verglichen, verschmolzen) mit Diotima
6. „In Erinnerung an Diotima : Jeanne de Vietinghoff“ (1. Fassung)
7. Korrespondenz Egon von Vietinghoff – Marguerite Yourcenar
 

Bemerkungen und Korrekturen zum Cidmy bulletin no.18

Leider sind in der Eile der Entstehung und ohne Rücksprache mehrere Ungenauigkeiten und Fehler unterlaufen, die nicht unkommentiert bleiben können.

1. Conrad von Vietinghoff und seine unmittelbaren Vorfahren stammen nicht aus Kurland sondern aus dem Teil von Livland, der zum heutigen Lettland gehört.

2. Die Namen "von Reval" und "von Wolmar" existieren im deutschen Adel nicht, der Name "von Gera" kam in Österreich vor. Es sind bloße Anspielungen der Schriftstellerin M. Y. auf die Herkunft der Vietinghoffs. Die Vorfahren Conrads stammen nicht vom estländischen Ast der Familie ab. Wolmar ist der deutsche Name der heutigen Stadt Valmiera in Nord-Lettland; von Schloss Salisburg (heute Mazsalaca) aus war sie die nächste Einkaufsstadt.

3. Conrad hat nicht am Konservatorium in Riga studiert, sondern für kurze Zeit Ökonomie in Dorpat (heute Tartu) und später Musikgeschichte in Leipzig und Berlin, wo er – ebenso wie in Rom – Klavierunterricht nahm.

4. Die "Eskapaden" Conrads sind in keiner Weise belegt und entspringen der Phantasie Marguerite Yourcenars, die selbst in fortgeschrittenem Alter gewissen Abenteuern nicht abgeneigt war. Sie hatte die schriftstellerische Freiheit, Conrad in ihren Romanen so darzustellen, während aus den Erzählungen von Verwandten und eines seiner nächsten intimsten Freunde ein ganz anderes Bild von ihm entsteht. Dass er wie Thomas Mann seine Vorliebe für Männer vor allem in seiner Kunst sublimierte und – zumindest in den letzten Jahrzehnten – seine Wünsche kaum körperlich auslebte, ist deshalb sehr wahrscheinlich, auch wenn dies heute schwer vorstellbar ist. Das von seinem Arzt im Zusammenhang "uraniste" (Homosexueller) verwendete Adjektiv "notoire" kann als "allgemein bekannt, offenkundig“ oder negativ als "notorisch, berüchtigt* gelesen werden. M. Goslar scheint grundlos zur zweiten Bedeutung zu tendieren.

5. Conrad, Jeanne und die beiden Söhne sind 1913 von Wiesbaden nach Genf umgezogen und nicht erst bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Conrad kam bei Kriegsausbruch vor Schließung der Grenzen mit dem letzten Zug zurück zu seiner Familie in die Schweiz, da er zu diesem Zeitpunkt gerade alleine verreist war.

6. Während des Ersten Weltkriegs stellte sich der pazifistisch und humanistisch eingestellte Conrad dem Roten Kreuz in Genf zur Verfügung. Da dort kaum jemand bereit war, die Post für deutsche Internierte zu sortieren und er als weltfremder Sonderling nicht einzuschätzen war, wurde er von einer Nachbarin angezeigt und musste, zusammen mit einem deutsch-baltischen Verwandten, sich mühsam gegen eine absurde Anzeige einer Nachbarin wegen Spionageverdachts verteidigen; selbstverständlich führten die Untersuchungen zu keinem Resultat. Wir wissen nicht, wer die Hypothese zu verantworten hat, dass Conrad über eine Organisation nach einem Partner in Wiesbaden gesucht hatte; sie entspricht jedenfalls nicht der Geschichte, die sein Sohn Egon erzählte, der damals dabei und immerhin zwischen 12 und 14 Jahre alt war.

7. Die Schweizer Staatsbürgerschaft für Conrad, Jeanne und die Kinder wurde erst nach dem Krieg beantragt und 1922 erteilt nachdem die Familie schon etwa drei Jahre in Zürich lebte. Das Haus in der Böcklinstraße wurde tatsächlich 1918 gekauft.

8. Dass Jeanne de Vietinghoff mit Michel de Crayencour eine leidenschaftliche Freundschaft, vielleicht eine große Liebe verband schreibt die Schriftstellerin Yourcenar in einem Brief an eine Freundin im Jahr 1973. Dass sie in ihrem Werk durchgehend Dichtung und Wahrheit absichtlich vermischte, ist bekannt. Ihre historischen Recherchen für ihre Romane sind bewundernswert, wenngleich sie auch angebliche Fakten zur Untermauerung des Wahrheitsgehalts vortäuschte (so z.B. im Kommentar zum Fangschuss, einer seriös wirkenden Erklärung, die allerdings schon Teil des Romans ist. Darüber hinaus würde es zur psychologischen Logik passen, wenn sich die Halbwaise Marguerite Y. die erträumte Mutter Jeanne an der Seite ihres Vaters gewünscht hätte – und sei es nur in ihrer Vorstellung. Erzählte ihr Vater tatsächlich expressis verbis von intimen Abenteuern mit Jeanne oder "nur" von seinen leidenschaftlichen Gefühlen? Seltsamerweise wird immer von den Gefühlen des Vaters, eines Lebemannes, ausgegangen. Wer weiß was und wie viel er seiner jugendlichen Tochter erzählte und was weiß sie selbst von Jeanne? Wer sagt, dass Jeanne, die geistig einen völlig anderen Fokus hatte, seine Gefühle so, wie es sich M. de Crayencour (und vielleicht auch seine Tochter?) wünschte, überhaupt erwiderte?

9. Jeannes Buch L'Autre devoir kann insofern auch keinen Beweis darstellen, als es sich ebenfalls um einen Roman handelt, in dem bloße Phantasien durchgespielt und sublimiert sein können. Einen Roman als Beweis für eine reale Liebesaffäre anzuführen, stützt zwar die favorisierte Idee von Michèle Goslar, ist aber methodisch sehr fragwürdig. Die Anmerkung 3 auf S. 12 ist ein Widerspruch in sich selbst: Das Abenteuer ist im _einzigen_Roman_ von Jeanne de Vietinghoff ausführlich erzählt. Weder das eine, eine gemeinsame Leidenschaft, noch das andere, ein einseitig verliebtes Schwärmen seitens Michels, ist heute beweisbar. Uns scheint eine langjährige außereheliche Beziehung Jeannes jedoch sehr unwahrscheinlich. Vergleiche die bereits aus Yourcenars Werken zitierten Stellen: Als mustergültige Gattin hatte sie niemals Liebhaber...(Anna, soror...) und Ebenso war ihr meine leidenschaftliche Lust am Fleische fremd. Sie war keusch, weil sie es verschmähte, das Leben leicht zu nehmen (Ich zähmte die Wölfin, S. 69.

10. Auch die Vorstellung eines Dreiecksverhältnisses geht viel zu selbstverständlich von den Wünschen Michel de Crayencours aus, die seinem Charakter und Lebensstil zwar durchaus entsprechen (immerhin lebte er davor schon in Dreiecksbeziehungen), aber sie berücksichtigen weder die konkrete Situation einer Dame der damaligen Gesellschaft und Mutter eines einjährigen Kindes im Allgemeinen noch die individuelle Psychologie Jeannes im Besonderen. Jeanne war damals noch deutlicher von Konventionen geprägt als in späteren Jahren.

11. Ebenso verhält es sich mit dem Gedicht vom Sommer 1904. Erstens ist es nicht sicher, ob M. Y. es selber schrieb und im Roman ihrem Vater in den Mund legte. Zweitens zeugt es zuerst einmal von Michels schwärmerischen Gefühlen und gibt keinen Anhaltpunkt für eine gegenseitige(!) Leidenschaft. Es ist deshalb bloß eine auf literarische Aussagen Yourcenars zurückgreifende Annahme, dass sich zwischen Michel und Jeanne eine Romanze anbahnte. (S.12)

12. Die Datierung der Fotos von Marguerite und Egon am Strand von Scheveningen muss vom Alter der Kinder ausgehen. Das erwähnte Gedicht ist dazu nicht nötig, denn es kann – sofern tatsächlich von Michel – auch früher entstanden sein. Egon war im Sommer 1904 höchstens eineinhalb Jahre alt, was nicht zu der Gestalt am Strand passt, während das Bild – nach Übereinstimmung mehrerer Mütter – durchaus plausibel einen Zweieinhalbjährigen und eine Zweijährige zeigt. Das Foto ist also eine Aufnahme vom Sommer 1905.

13. Die wahrscheinliche Datierung des Fotos von Jeanne und Fernande, beide stehend, zusammen mit einer gemeinsamen Freundin, in der Mitte sitzend (S.14), sagt lediglich aus, dass sie sich um 1902 getroffen haben, vielleicht sogar anlässlich der Hochzeit von Jeanne und Conrad (oder kurz davor oder bald danach). Als Argumentation zur Untermauerung eines häufigen Kontakts der beiden Ehepaare taugt dies in keiner Weise, noch weniger für die Annahme eines sich anbahnenden Verhältnisses zwischen Jeanne und Michel.

14. Egon von Vietinghoff malte zwar gegenständlich, aber nicht naturalistisch. Darauf legte er großen Wert. Den Unterschied zwischen abmalendem, akribischem Kopieren und inspiriertem, freiem Gestalten mittels künstlerischer Fantasie definierte er in seinem Manuskript Vision und Darstellung (publiziert auf Deutsch unter www.vietinghoff.org und ist im Kapitel "Philosophie" beschrieben). Er nennt diese Art von Malerei Visionäre Malerei, in anderen Sprachen wurde der Begriff als Transzendentale Malerei übersetzt. Er entdeckte sie beim Studium seiner Vorbilder, wie Rembrandt, Rubens, Hals, Tizian, Chardin, Velazquez und Goya. Unter "naturalistisch" verstand er technisch mehr oder weniger perfekte oder brav kopierende Fleißarbeiten, unter visionär (transzendental) jedoch die fantasievolle Wiedergabe eines inneren Erlebnisses im Drama von Form, Farbe und Licht. Gegenständliche, naturähnliche Malerei ist nicht identisch mit Naturalismus. In diesem Sinne ist Egon von Vietinghoff kein Naturalist. Siehe die entsprechenden Kapitel auf www.vietinghoff.org).

15. Die Egon von Vietinghoff-Stiftung wurde am 8.3.1989 vom Künstler selber gegründet, nicht posthum von seinem Sohn Alexander. Der Maler starb erst am 14.10.1994.
 
     
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