Jeanne von Vietinghoff, die Mutter
Wer ist Egon ?

 

Conrad von Vietinghoff, der Vater

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Juliane v. Krüdener (um 1820) Als Pietistin und Mystikerin beeinflusste sie den Zaren maßgeblich. Sie ist die Mutter der Heiligen Allianz gegen Frankreich, vertrat 1815 Russland beim Wiener Kongress und stilisierte sich dort zum Sonnenweib gegen den Antichristen Napoleon.

M. Yourcenar mag das vom Maler Egon erfahren haben oder sie entdeckte diese Exzentrikerin selber, was die merkwürdige Ähnlichkeit ihres Romantitels Alexis oder der vergebliche Kampf (1927/1928) mit dem genannten Werk von Juliane von Krüdener nahelegt: Alexis oder die Geschichte eines russischen Soldaten.

Fast Ruhm, fast Liebe, fast Glück? Juliane hielt flammende religiöse Reden im Aargau und in Basel, betrieb für die nach den Napoleonischen Kriegen hungernde Bevölkerung selber Suppenküchen in Basel und im Badischen bis sie da wie dort als zu subversiv des Landes verwiesen wurde und beim Zaren in Ungnade gefallen, mittellos und abgeschieden auf der Krim verstarb. Dort hatte ihr der Zar früher die Gründung einer pietistischen Kolonie erlaubt.
 

11 - Allgemeine Bemerkungen und Berichtigungen

Conrad von Vietinghoff Folgende Bemerkungen sind aus persönlichen Gesprächen und Dokumenten gesicherte Kenntnisse. Einerseits beziehen sie sich auf Unterschiede zwischen der realen Person Conrad von Vietinghoffs und den von Marguerite Yourcenar entworfenen literarischen Figuren in ihren Romanen. Andererseits betreffen sie Erinnerungen in ihrem teils autobiographischen letzten Werk sowie auf Behauptungen, Annahmen, Vermutungen, Hypothesen und Schlussfolgerungen ihrer Biographen und Biographinnen, seien es eigene oder auch nur von anderen abgeschriebene.

Wir laden alle bisherigen und zukünftigen Autoren und Übersetzer ein, falsche Angaben und Behauptungen in den Biographien, wissenschaftlichen Abhandlungen und Internet-Artikeln zu korrigieren.

Bitte bezeichnen Sie die entsprechenden Passagen in Ihren Büchern und Artikeln als abweichend von der historischen Realität und als schriftstellerische Freiheit Marguerite Yourcenars.
 

Neschwitz, Neues Schloss, 1766-1775 erbaut durch den sächsischen Hofbaumeister Friedrich August Kubsacius, gesprengt 1945 durch die deutschen Kommunisten I. Conrad war der jüngste von vier Söhnen: der erste erbte den Besitz Neschwitz in Sachsen, der zweite das Elternhaus Salisburg, der dritte heiratete nach Marienburg in Livland (in die Linie des erwähnten Otto Hermann) eine geborene und nach zweiter Ehe verwitwete Vietinghoff und hieß somit dreimal Vietinghoff!

Conrad selbst bekam sein Erbe ausgezahlt, noch vor dem Verlust der Heimat infolge der russischen Revolutionen, so dass er bis in die 1930er Jahre keine materiellen Sorgen hatte.
 

Schloss Marienburg (Aluksne) - Lettland Das Klischee vom verarmten Adel passt zumindest nicht auf die ersten 60 Jahre Conrads, d.h. keinesfalls auf jene Zeit als der Roman "Alexis" entstand. Im 19. Jh. verwaltete Conrads Großvater den größten Besitz in Livland oder einer der größten). In der Zeit der Bauernbefreiung trat sein Vater einen Teil an landlose Bauern ab.

Nach Jeannes Tod lebte Conrad alleine und war so naiv, großzügige Geschenke, Darlehen und Bürgschaften an Betrüger zu geben, die über ihre finanzielle Lage jammerten.
 

Schloss Salisburg, um 1800? II. Conrad wurde auf Schloss Salisburg geboren (der lettische Ortsname: Maszalaca). Seine Heimat sowie die seiner Vorfahren war nicht Böhmen, nicht Mähren, nicht Podolien, nicht Polen und auch nicht Kurland, sondern die historische Region Livland, ehemals Herrschaftsbereich des Deutschen Ritterordens und seit Peter d.Gr. (1710) Provinz des russischen Zarenreichs. Benannt nach den Ureinwohnern, den finnischen Liven, die dort heute noch eine winzige ethnische Minderheit darstellen (2011: 250 Menschen). Bei der 1. eigenen Staatsgründung wurde Livland geteilt: das nördliche Drittel kam zu Estland, der größere südliche Teil wurde zusammen mit Kurland der Staat Lettland. Damit verschwand der Name Livland 1918/19 von der Landkarte.

III. Conrad ging nicht in Pressburg (Bratislava) zur Schule und studierte in Dorpat (Tartu) nicht Jura, sondern Landwirtschaft und Ökonomie. Er hat auch nie in Wien gelebt.
 

Baron Oscar von Vietinghoff (1863-1927), letzter Herr auf Salisburg, Bruder von Conrad Baron Harry v. Vietinghoff v. Riesch (1860-1942), ältester Bruder von Conrad IV. Conrad hat mit größter Wahrscheinlichkeit seine baltische Heimat nach 1906 nicht mehr wiedergesehen, sicherlich nicht mehr nach Ausbruch des 1. Weltkriegs. Er besuchte dort seine Eltern während seines Studiums in Leipzig und Berlin, später zur Verlobung mit Jeanne und jeweils nach der Geburt seiner Söhne, um sie seinen Eltern vorzustellen. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass er zwischen 1907 und 1913 noch einmal dort war. Seine Brüder pflegten des Kontakt zum Vater, der 1918 in Riga starb.

V. Nahm Conrad keinen einzigen Tag am antibolschewistischen Kampf in seiner Heimat teil; er verbrachte den Ersten Weltkrieg zuerst in Genf und zog 1917 nach Zürich, wo er und seine Familie 1921 die schweizerische Staatsbürgerschaft beantragte und sie 1922 bekam.
 

Conrads Flügel (Blüthner, Leipzig) VI. Conrad war Pianist und kein Komponist: er hat niemals etwas komponiert und war kein Klavierlehrer, auch wenn er einigen Menschen hie und da Privatunterricht gab (mehr aus Freundlichkeit als gegen Bezahlung).

VII. Conrad machte nicht deshalb keine Karriere, weil er Misserfolge hatte, sondern weil er zu sensibel und gehemmt war, um vor einem anonymen Publikum zu spielen. Abgesehen von gelegentlichen Hauskonzerten in Wiesbaden und in Zollikon spielte er nur für sich oder für Freunde. Er war viel zu schüchtern und introvertiert für große solistische Auftritte. Conrad hatte keine breite Anerkennung und beteiligte sich nur an zwei Wohltätigkeitskonzerten: 1910 auf Schloss Neuwied (Deutschland) und 1923 in Fribourg (Schweiz).
 

Conrad von Vietinghoff VIII. Conrad war gegenüber zeitgenössischer Musik insofern offen als er besonders gerne Max Reger und andere Spätromantiker spielte (A.Skrjabin, S.Rachmaninow, R.Strauss); er war jedoch kein Avantgardist und schon gar kein Freund atonaler Musik.

IX. Der sogenannte "Skandal von Rom" ein literarisches Echo auf die Probleme, die M.Yourcenar mit J.Wilson und seinem Freund Daniel in Indien hatte (vgl. M.Goslar, S.319f). Er hat nichts mit Conrad v.Vietinghoff zu tun.

X. Conrad war weder katholischen noch orthodoxen Glaubens. Er war ebenso wie Jeanne auf eine freie Art religiös aber protestantisch-lutherischer Konfession.

XI. Es gab keine finanzielle Ungleicheit zwischen Conrad und Jeanne oder gar eine materielle Abhängigkeit seinerseits. Sie kam aus großbürgerlich-wohlhabendem Haus und er verfügte während ihrer Ehe über genügend eigene Mittel, um nach einem Ortswechsel große Wohnungen oder Häuser zu kaufen, mit den Kindern zu verreisen, in Erstklasshotels zu logieren, ihren Söhnen private Lehrer und Institute zu ermöglichen sowie zu literarischen und musikalischen Abenden einzuladen.

XII. Conrad und Jeanne haben gelegentlich nicht zusammen gelebt. Das kann jeweils während der Umzüge in ein anderes Land gewesen sein, da Jeanne die zupackende war und Conrad äußerst unpraktisch. Oder umgekehrt, z.B. bei den Umzügen in eine deutschsprachige Stadt (von Paris nach Wiesbaden oder von Genf nach Zürich), falls Jeanne bei den Kindern blieb und Conrad mit Behördengängen und der Suche nach einem Haus beschäftigt war. Das Haus in der Böcklinstraße wurde erst 1918 gekauft. Eine wirkliche Trennung fand nie statt. Auch gibt es weder in Erzählungen noch in einem der Nachlässe irgendeinen Hinweis auf einen Abschiedsbrief. Das Ende ihres Lebens verbrachte Jeanne krankheitsbedingt in einer Klinik (Sanatorium?) am Genfer See, während Conrad im gemeinsamen Haus in Zürich blieb, da er sie nicht angemessen pflegen konnte.
 
     
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